Nicht nur in meiner Zeit als Inhouse-Anwältin und Führungskraft ist es mir passiert - auch jetzt kommen immer wieder Arbeitgeber zu mir, weil sie die Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, also deren Beweiswert, anzweifeln.
Das passiert insbesondere dann, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang mit Störungen im Arbeitsverhältnis besteht. Umgekehrt suchen mich aber auch Arbeitnehmer auf, welche erkrankt sind und nun keine Entgeltfortzahlung mehr erhalten, da ihr Arbeitgeber die Erkrankung anzweifelt.
Kennst du diese Fälle auch?
Dann erfährst du hier, was Recht und Unrecht ist und bekommst erste Handlungsempfehlungen.
Sofern ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und seiner Arbeitsleistung nicht mehr nachkommen kann, ist er nicht nur verpflichtet, sich rechtzeitig zu melden, sondern muss auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (umgangssprachlich: Krankschreibung, abgekürzt: AU-Bescheinigung) vorlegen.
Wann diese einzureichen ist, richtet sich danach, ob dazu etwas im jeweiligen Arbeits- oder Tarifvertrag steht. Wenn nicht, gilt das Gesetz (§ 5 Abs.1 S.2 Entgeltfortzahlungsgesetz), wonach eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht werden muss, wenn die Erkrankung länger als drei Kalendertage dauert, und zwar am nächsten Arbeitstag. Manchmal muss dies aber auch bereits ab dem ersten Tag der Erkrankung erfolgen.
Grundsätzlich weist eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Erkrankung des Arbeitnehmers nach. Sie ist das gesetzlich vorgesehene Mittel, eine Krankheit zu bestätigen und stellt somit das wichtigste Beweismittel dar. Das gilt auch bei bspw. psychischen Erkrankungen. Dabei basiert die Bescheinigung weitestgehend auf den subjektiven Angaben des Erkrankten, stellt jedoch trotzdem einen ausreichenden Beweis für dessen Arbeitsunfähigkeit dar.
Mit Wirkung vom Januar 2023 wurde die klassische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgelöst. Das bedeutet, dass eine Vorlagepflicht beim Arbeitgeber entfällt, da die behandelnden Ärzte die Krankmeldung direkt an die Krankenkassen übermitteln. Der Arbeitgeber ruft die Krankmeldungen der betroffenen Arbeitnehmer elektronisch dort ab.
Der Wegfall der Vorlagepflicht entbindet den Arbeitnehmer jedoch nicht davon, die eigene Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen und sich unverzüglich beim Arbeitgeber arbeitsunfähig zu melden. Weiterhin muss auch die voraussichtliche Dauer der Erkrankung mitgeteilt werden.
Auch mit der elektronischen Krankmeldung ändert sich der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht.
Die Gerichte gehen im Grundsatz davon aus, dass das, was vom Arzt bescheinigt wurde, auch stimmt. Selbst wenn man als Arbeitgeber Zweifel hat, sollte man also nicht einfach davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer die Krankmeldung missbräuchlich erlangt hat.
Jetzt kommt aber das große ABER! Denn es gibt Ausnahmen.
Wie würdest du als Arbeitgeber in diesen Fällen denken:
Fall 1
Einen Tag nach erfolgter Kündigung reicht der Mitarbeiter eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Zudem bezieht sich die Krankmeldung genau auf die Dauer der Kündigungsfrist.
Fall 2
Der Arbeitnehmer reicht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, wird aber von einem Kollegen beim Besuch eines Konzertes gesehen.
Fall 3
Der Arbeitgeber versagt seinem Mitarbeiter die Verlängerung seines Urlaubes bzw. lehnt eine Urlaubsanfrage ab. Der Mitarbeiter reicht daraufhin eine Krankmeldung für den Urlaubszeitraum ein.
Fall 4
Der Arbeitnehmer reicht rückwirkende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein oder kündigt seine Arbeitsunfähigkeit im Vorfeld an.
Fall 5
Der Arbeitnehmer ist auffällig häufig im Zusammenhang mit freien Tagen erkrankt oder auffällig häufig immer nur für kurze Dauer.
Genau, wahrscheinlich jeder Arbeitgeber horcht hier auf und Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind durchaus nachvollziehbar. Was also tun?
Gerne unterstütze ich dich bei Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder beantworte dir deine offenen Fragen zum Thema.
Kontaktier mich gern jederzeit oder buch dir einen Gesprächstermin.
Du weißt, ich bin auch Mediatorin und natürlich ist es mir auch in diesen Fällen ein Anliegen, nicht sofort vom Schlimmsten auszugehen. Deshalb mein grundlegender Ratschlag: Bitte nicht vorschnell handeln!
Zu Recht können in den genannten Fällen Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufkommen. Bevor du weitere Schritte gehst, schlage ich jedoch den Austausch mit deinem Mitarbeiter vor.
Als Arbeitgeber ist es dein gutes Recht, respektvoll nachzufragen, wie es deinem Mitarbeiter geht und über deine Zweifel zu sprechen. Bitte beachte dabei in angemessener Weise die Privatsphäre deines Mitarbeiters.
Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, hat er für die Dauer von sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Voraussetzung dafür ist, dass ihn kein Verschulden trifft.
Du als Arbeitgeber hast unter Betrachtung der Gesamtumstände berechtigte Zweifel an der Erkrankung deines Mitarbeiters und möchtest deshalb die Entgeltfortzahlung aussetzen?
Grundsätzlich kannst du das Entgelt des Mitarbeiters so lange unproblematisch kürzen, wie dieser keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Du hast in diesem Fall aber nur ein Zurückbehaltungsrecht, das heißt: Wird die Bescheinigung nachgereicht, muss das Entgelt nachträglich ausgezahlt werden.
Wie aber ist es nun, wenn zwar eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, du aber Zweifel hast? Liegt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, kommt dieser wie gesagt ein sehr hoher Beweiswert zu. Ich empfehle dir daher, vor Entgeltkürzung und weiteren Schritten Rücksprache mit einem auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt zu halten.
Dieser wird den Einzelfall bewerten, denn darauf kommt es an. Pauschale Aussagen können nicht gemacht werden. In einem etwaigen Folgeprozess, in dem der Mitarbeiter die Zahlung des vom Arbeitgeber einbehaltenen Gehalts einklagt, obliegt es dem Arbeitgeber, konkrete und stichhaltige Gründe darzulegen, welche ihn an der inhaltlichen Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeit zweifeln lassen.
Liegen diese vor, kehrt sich die Beweislast wieder um. Das heißt, dein Mitarbeiter muss den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit erbringen. Kann er dies nicht, bist du berechtigt, die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum der Erkrankung auszusetzen.
Dein Mitarbeiter könnte beispielsweise den behandelnden Arzt als Zeugen benennen und ihn von der Schweigepflicht entbinden. Ein Mitarbeiter, der nichts zu verbergen hat, wird dies im Regelfall tun.
Hegst du als Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, kannst du dir wie folgt Unterstützung holen:
§ 275 SGB V regelt die Fälle, in denen die Krankenkassen berechtigt sind, eine Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenkasse einzuholen. Auf diese Befugnisse der Krankenkassen kann man als Arbeitgeber schon bei einfachen Zweifeln zurückgreifen.
Unter Darlegung des Einzelfalles solltest du hierbei den Kontakt zur Krankenkasse suchen und gemeinsam besprechen, ob die Einbeziehung des medizinischen Dienstes sinnvoll erscheint.
Diese Überprüfung ist nicht an den Ablauf der 6-wöchigen Lohnfortzahlung gebunden, sondern kann sofort erfolgen.
Bereits mehrfache Kurzerkrankungen oder Erkrankungen im Zusammenhang mit Wochenenden fallen unter den § 275 SGB V.
Sollten sich die Zweifel als berechtigt erweisen, ist der Form halber zu erwähnen, dass gegenüber dem behandelnden Arzt eine Schadensersatzpflicht besteht. Das funktioniert allerdings nur bei gesetzlich versicherten Mitarbeitern.
Viele Arbeitgeber fragen mich, ob Sie den Mitarbeiter zwingen können, zum Betriebsarzt zu gehen und dort die Arbeitsunfähigkeit bestätigen/überprüfen zu lassen. Dies geht in der Regel nicht. Es gibt zwar einige tarifvertragliche Regelungen, nach denen eine Vorstellungspflicht beim Betriebsarzt besteht; diese betreffen aber in der Regel eher den umgekehrten Fall, wenn festgestellt werden soll, ob der Mitarbeiter wirklich noch die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung erbringen kann, etwa nach einer längeren Krankheit.
Eine entsprechende arbeitsvertraglich geregelte Verpflichtung, halte ich angesichts der Vorgaben in § 307 BGB für ebenfalls kaum haltbar. Der Betriebsarzt hilft daher in der Regel nicht weiter.
Gerade in Bezug auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im engen zeitlichen Zusammenhang mit Kündigungen gab es in den letzten Jahren ein wenig Bewegung. Um die aktuelle juristische Sicht auf das Thema zu zeigen, hier ein Urteil vom Juli diesen Jahres. (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 13.07.2023 -5 Sa 1/23)
Streitpunkt war die nicht erfolgte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eines angestellten Chefarztes im Zeitraum zwischen Kündigung bis Antritt des Resturlaubs vor endgültigem Austritt. Die Klinik hatte diese eingestellt, da sie die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifelte. Insbesondere die 10-stündige Heimfahrt des Mediziners ließ die Klinik zweifeln. Sie argumentierte u.a., dass diese Reise der Arbeitsunfähigkeit entgegenstehe.
Das Gericht bestätigte den Anspruch auf Entgeltfortzahlung des Mediziners, da der Arbeitsalltag eines Chefarztes nicht vergleichbar sei mit einer Bahnfahrt in der 1.Klasse. Während im Zug die Möglichkeit bestehe, eine entspannte Körperhaltung einzunehmen und sich bei Bedarf etwas zu bewegen, sei der Kläger als Chefarzt während des gesamten Arbeitstages durch seine Leitungstätigkeit durch Mitarbeiter und Patienten gefordert, was ein hohes Maß an Konzentration und Reaktionsvermögen sowie Flexibilität erfordere.
Natürlich haben Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Kündigung einen faden Beigeschmack. Aber gerade dieser Fall zeigt auch, dass sich Erkrankungen nicht nach diesem Zusammenhang richten.
Natürlich, ich gebe dir recht: Dieser Fall lässt genauso aufhorchen wie die oben genannten Fälle. Aus Arbeitgebersicht verstehe ich sehr gut, wenn Zweifel im Kontext Kündigung und Arbeitsunfähigkeit aufkommen.
In diesem Artikel informiere ich dich rund um das Thema Mitarbeiter fristlos kündigen
Eine ordnungsgemäß ausgestellte Krankmeldung begründet die tatsächliche Vermutung für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Sie ist und bleibt das gesetzlich vorgesehene Nachweismittel. Zweifelt der Arbeitgeber daran, muss er entsprechende Tatsachen vortragen, die diesen Beweiswert erschüttern. Das ist nur bei ernsthaft und objektiv begründeten Zweifeln möglich.
Ebenso ist Krankheit nicht gleich Krankheit. Der Arbeitnehmer kann während einer Arbeitsunfähigkeit alles tun, was seiner Gesundwerdung nicht entgegensteht. Kopfschmerzen stellen so sicherlich kein Hindernis für einen Spaziergang dar. Eine Reise an die See ist kein Hindernis bei diagnostizierten Atemwegserkrankungen.
Und auch im Falle häufiger Kurzzeiterkrankungen werden hohe Anforderungen durch die Rechtsprechung gestellt. Der Arbeitgeber kann diese nicht ungeprüft als Kündigungsgrund nutzen. Neben schlechten Gesundheitsquoten über mehrere Jahre, bedarf es einer negativen Gesundheitsprognose und erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen. Zudem müssen mildere Mittel (z.B. Betriebliches Eingliederungsmanagement) in Betracht gezogen sowie die Interessen abgewogen und der Einzelfall geprüft werden.
Ihr Mitarbeiter kommentiert nicht gewährten Urlaub mit dem Ausspruch „Dann bin ich eben krank“? Damit riskiert der Mitarbeiter eine fristlose Kündigung. Aber auch hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an! Wie wurde die Anmerkung vorgebracht, ist eine Kündigung verhältnismäßig, ist die Krankheit nachweislich wirklich eingetreten. Eine pauschale Aussage lässt sich auch hier nicht treffen. Der Einzelfall entscheidet.
Deshalb lass dich bitte unbedingt anwaltlich beraten, bevor du vorschnell agierst und Teilnehmer eines zeitaufwändigen Rechtsstreits wirst.
Du hast weitere Fragen zum Thema Beweiswert Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
Kontaktier mich gern jederzeit oder buch dir einen Gesprächstermin für ein unverbindliches Erstgespräch. Gemeinsam finden wir sicher eine Lösung für dein individuelles Anliegen.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung oder Krankschreibung) ist eine Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers aufgrund von Krankheit. Die Einreichungsfrist einer AU-Bescheinigung hängt von den arbeitsvertraglichen oder tariflichen Regelungen ab. Andernfalls gilt das Gesetz, wonach eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht werden muss, wenn die Erkrankung länger als drei Kalendertage dauert, und zwar am nächsten Arbeitstag.
Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dient als gesetzliches Nachweismittel für die Krankheit des Arbeitnehmers und hat einen hohen Beweiswert, auch bei psychischen Erkrankungen.
Es gibt einige Umstände, unter denen Zweifel an der AU-Bescheinigung aufkommen können. Dazu gehören bspw. eine AU-Bescheinigung nach Kündigung des Mitarbeiters, nach Ablehnung des Urlaubs oder eine rückwirkende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. eine AU-Bescheinigung nach vorheriger Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit. Zudem können Aktivitäten außerhalb des Krankenstandes des Mitarbeiters trotz AU-Bescheinigung und häufige Kurzzeiterkrankungen oder Erkrankungen an freien Tagen Zweifel aufkommen lassen.
Arbeitgeber sollten Ruhe bewahren und zunächst das Gespräch mit dem Mitarbeiter suchen. Es ist wichtig, respektvoll nachzufragen und die Privatsphäre des Mitarbeiters zu respektieren. Bei ernsthaften Zweifeln sollte ein spezialisierter Anwalt für Arbeitsrecht hinzugezogen werden.
Ja, Arbeitgeber können das Entgelt kürzen, solange keine AU-Bescheinigung vorliegt. Wenn jedoch eine AU-Bescheinigung vorhanden ist und Zweifel bestehen, ist es ratsam, sich zunächst rechtlich beraten zu lassen. Der Arbeitgeber muss stichhaltige Gründe vorlegen, um den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern.
Arbeitgeber können Unterstützung von der Krankenkasse und dem medizinischen Dienst erhalten, um Zweifel zu klären. Sie können auch den Betriebsarzt einbeziehen, obwohl dies in der Regel nicht erzwingbar ist.
Ja, es gab in den letzten Jahren Entwicklungen, insbesondere in Fällen, die mit Kündigungen und Arbeitsunfähigkeit in Zusammenhang stehen. Ein Urteil vom Juli 2023 (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 13.07.2023 - 5 Sa 1/23) verdeutlicht, dass Erkrankungen nicht notwendigerweise von Kündigungen abhängen, sondern im Einzelfall geprüft werden müssen.
Bildquellennachweis: © deepblue4you| Canva.com